Erster Mai 1994.
Das Wochenende aus der Sicht von
Gerhard Berger
Imola 30. April 1994, Qualifikation, Samstagnachmittag.
Ich saß
angeschnallt im Auto in der Box, parat zum Ausfahren, hatte den
Monitor vor mir und musste die Herzmassage für Roland Ratzenberger
ansehen. Allein an den Bewegungen der Sanitäter konnte ich ablesen,
was los war. Ich war außer mir. Ich stieg aus, ging ins Motorhome,
zitterte. Ich war das erste Mal damit konfrontiert, dass einer im
Rennauto starb. In meiner ganzen Formel 1 Zeit hatte es keinen
Todessturz mehr gegeben. Ich sah nur zwei Möglichkeiten. Sofort
Heimfahren und den ganzen Sport vergessen, oder den Schalter umlegen
und mir irgend etwas einreden. Zum Beispiel: Wenn du auch so stirbst
wie der Roland, dann ist es wenigstens bei dem, was du am liebsten
tust auf der Welt. Solche Sachen fielen mir ein, und ich musste
rasch entscheiden, ging raus, hockte mich ins Auto und fuhr eine
schnelle Runde, wie zum Selbstschutz. Die Telemetrie sagte nachher,
dass der Simtek des Roland Ratzenberger mit Tempo 308 in die
Begrenzungsmauer eingeschlagen war. Man hatte Roland nach der
Notversorgung ins Maggiore-Hospital nach Bologna geflogen, aber er
hatte keine Chance mehr.
Der Unfall war in der Villeneuve Kurve
passiert, keine 500 Meter von meiner Unfallstelle fünf Jahre
zuvor. Vieles spricht dafür dass beide Unfälle die gleiche Ursache
hatten: Frontflügel gebrochen, kein Antrieb, unlenkbares Auto.
Irgendwo tief in unseren Herzen hatten wir alle gehofft, die goldene
Serie einer Formel 1 ohne tödliche Unfälle würde ewig weitergehen.
Und jetzt ausgerechnet Roland! Er hatte mich noch auf seiner Anreise
nach Imola auf dem Boot in Monaco besucht. Ich mochte seine
natürliche, offene Art, diese leichte Fröhlichkeit von innen heraus.
Roland war auf dem besten Weg gewesen, eine echte Bereicherung der
Formel 1 Szene zu werden.
Imola, 1. Mai 1994. Josef Leberer war, wie
üblich, an der Startaufstellung bei Senna, als er schon mit
Helm im Auto saß. Über Lautsprecher wurden die Startpositionen
angesprochen, es gab Applaus bei "Senna", Applaus bei "Schumacher",
dann besonderen Applaus bei "Berger". Josef hat mir gesagt, dass
dieser Sonderapplaus den Senna richtig erheitert hat, jedenfalls
konnte Josef durch das Helmvisier erkennen, dass Senna über beide
Ohren grinste.
In der sechsten Runde huschte ein Schatten auf
mich zu, und es tat einen Schlag am Auto. Ich konnte aber
nichts Gravierendes spüren, fuhr weiter, und bevor ich groß
nachdenken konnte, waren die roten Fahnen draußen. Rennabbruch. Ich
ließ die vordere Aufhängung checken, man sah sofort eine schwere
Beschädigung und dass das Zeug nur noch an der letzten Faser hing.
Die Mechaniker begannen an der Startaufstellung mit dem Wechseln der
Aufhängung. Ich erfuhr, dass das Chaos, das ich in der
Tomburello-Kurfe gerade noch aus den Augenwinkel wahrgenommen hatte,
ein Unfall von Ayrton Senna bedeutete. Das Auto musste von dort
entfernt werden. Und ganz offensichtlich stammte der Teil, der meine
Aufhängung getroffen hatte, vom weggerissenen Frontflügel des Senna
Autos.
Wie schwer, der Unfall ? Das konnte hier
keiner sagen. Die Monitore in den Boxen hingen am internen
Netz der Rennstrecke, jeder Fernsehzuschauer irgendwo auf der Welt
hatte in diesem Moment eine bessere Übersicht über die Situation,
konnte zumindest feststellen, dass es kein Dutzendunfall gewesen
sein dürfte, sondern eine wirklich ernste Angelegenheit. Ich hatte
jedenfalls keine Schwierigkeit, die Sache zu verdrängen, ein
Zwischenfall halt, wie's viele gibt. Ich konzentrierte mich auf den
neuerlichen Start.
Am Vorstart fragte ich noch einmal nach Senna.
Ja, er sei zu Bewusstsein gekommen, gerade aufgestanden, und im
Hinterkopf dachte ich, "aufgestanden und weggegangen... er weiß
schon, wie man eine Show abzieht ". Dann kam Bernie zu mir
und sagte shit weekend, und ich fragte, was ist los, er hatte
das Funkgerät dabei und wollte Professor Watkins erreichen, aber der
arbeitete gerade, derweil gammelte das Funkgerät, und ich versuchte
mich zu konzentrieren.
Neuerlicher Start, null Gedanke an Senna oder
irgendwas Schreckliches. Nach ein paar Runden überholte ich
Schumacher und war damit in Führung. Plötzlich, in der Acqua
Minerale, brach das Auto hinten aus. Schumacher ging an mir vorbei,
ohne das ich mich groß wehrte, ich wollte erst einmal checken, was
da los war hinten am Auto. Auf der Geraden sah ich Funken im
Rückspiegel und dachte, dass ich zuvor keine Funken bemerkt hatte,
war verärgert über mich selber: träumst jetzt, oder was? Irgendwo
ganz hinten im Hirn eines Fahrers kriegt man solche Abweichungen
mit: Hoffentlich hast keine slow puncture. Ich dachte, ich
sollte die neuen Reifen gleich abholen, obwohl der Boxenstop erst
drei, vier Runden später geplant war, und so hab ich es auch
gemacht.
Beim neuerlichen Rausfahren hatte ich
Untersteuern, das vorher nicht da war, und war verunsichert,
ob das vielleicht mit den neuen Reifen oder dem Aufdanken zu tun
hatte, das Auto war ja nun schwerer, ich musste die Bremspunkte
ändern. In der schnellen Schikane, wo Barrichello seinen irren
Unfall gehabt hatte, brach das Auto wieder aus, und ich musste über
die Wiese, und da war ich mir immer noch nicht sicher, ob am Auto
etwas los war oder ich bloß zu schnell für die neuen Verhältnisse
gefahren war. Irgendwas sagte mir, jetzt kommt die schnelle Gerade,
wenn dir da was passiert, das kannst nicht brauchen. Also fuhr ich
in die Box und ließ nachschauen. Die Burschen meinten, da passt
alles, aber ich sagte, wenn ich mir einbilde, da fehlt was, kann's
auch nicht ganz richtig sein. In diesen Augenblick kam schon Jean
Todt und sagte: Steig aus. Später sagte er: "Ich hab dir angesehen,
dass du aussteigen wolltest, und das wollte ich wirklich. Dann
hockte ich in der Box und hatte plötzlich das Gefühl, dass alles so
still war, obwohl draußen das Rennen dröhnte, und ich begriff auf
einer Weise, die ich nicht erklären kann, dass Ayrton Senna im
Sterben lag.
Nun sickerten erste Nachrichten über den Ernst
der Lage auch bis zu den Boxen durch. Herauszuhören war, dass
Senna noch ums Überleben kämpfte, die Schlacht aber eigentlich schon
verloren sei. Ich hatte in diesem Moment nur ein einziges Gefühl:
Ich wollte ihn noch einmal sehen. Ich weiß nicht, was ich mir davon
erwartete, aber ich wollte es einfach, unbedingt. Braga und mein
Vater hatten den Marlboro Hubschrauber organisiert, der uns ins
Krankenhaus nach Bologna brachte. Was ich in der Klink verstand, war
wiederum, dass der Kampf der Ärzte chancenlos, aber noch nicht
vorüber sei. Ich musste eine Zeit warten, die uns ewig schien, dann
wurde Josef Leberer und ich zu ihm gelassen. Ayrton war mit einem
grünen Tuch bedeckt, das einen Teil der Wunden an der Stirn
freiließ. Die Hand, der Fuß, den ich sah, waren die eines Toten,
nach meinem Gefühl. Zwei oder drei Ärzte machten sich im Bereich der
Stirnverletzung zu schaffe, und wir waren wieder im Unklaren, ob
Ayrton noch lebe.
Die Unklarheit hat mich später sehr
beschäftigt, weil die Umstände all dieser vagen Angaben
irgendwie seltsam waren. Als dann die Diskussion losging und vor
allem aus Brasilien die schweren Vorwürfe kamen, dass die Zeit das
Todeseintritts manipuliert worden sei, um die Durchführung des
Rennens zu retten, hatte ich eine Zeitlang den Verdacht, ich sollte
dazu benützt werden, einen späten Zeitpunkt zu bestätigen. Die Sache
ließ für mich seltsame Fragen offen, aber doch nicht so sehr, um mir
wirklich schwerwiegende Zweifel an den offiziellen Angaben zu
erlauben. Außerdem war Chefarzt Sid Watkins ein echter Freund von
Ayrton, er hätte sich für keine Manipulation hergegeben.
Josef Leberer blieb im Krankenhaus, und er
blieb von da an bei Ayrton Senna, es war der ausdrückliche
Wunsch der Familie, er begleitete den Sarg zum Flugzeug, saß im
Flugzeug neben dem Sarg und war bis zum Begräbnis bei Ayrton. Es war
ein ganz unendlich tiefer Abschied. |