AYRTON SENNA Da Silva    
                   Erinnerungen an den unsterblichen Champion



Adriane.
 

Adriane Galisteu
 


 

Adriane war die Freundin von Beco (Ayrton) bis zu seiner letzten Stunde.
Sie hat in ihrem Buch "
Mein Leben mit Ayrton"  viele Details über die Beziehung mit Senna beschrieben.
Hier einige Auszüge.
 

Es war Samstag, der 30. April 1994. Ich war in der Quinta von Luiza und Braga in Sintra kurz nach dem Mittagessen angekommen. Ich machte mir nicht einmal die Mühe die Koffer auszubacken, denn mein Ziel war die Algarve. In derselben Nacht würde ich das Flugzeug nach Faro nehmen, und würde zu unserem Haus auf dem Besitz der Quinta do Lago fahren. Ich hatte riesig viel Gebäck. Der Plan war folgendermaßen: ich sollte ihn die ganzen 5 Monate der europäischen Saison begleiten. Vom GP von Marino, jenem 1. Mai, bis zum GP von Portugal am 25. September. Frühling und Sommer, zumal das Haus in der Algarve hergerichtet worden war, eine Schönheit. Der blaue Himmel des Mittelmeers als Kontrast zu den weiß gekalkten Wänden. Wenn die Zeit zur Arbeit gekommen war, dann genügte es, Kommandant Mahonney, diesen ganz reizenden Engländer, zu rufen, das Flugzeug aus dem Hangar zu holen, und wir würden uns an den Ort des nächsten Rennens begeben. Ich träumte von der Stunde, in der ich ihn am Sonntagabend in unserem Haus in die Arme nehmen würde - nach dem Rennen von Imola. Fünf Monate sonnenbeschienener Honeymoon. In unserer Beziehung waren Berührungen, Blicke, Eindrücke, ja sogar das Schweigen viel wertvoller als Worte. Aber das war es, was und erwartete, fünf Monate glühender Liebe. Das war es. Ich konnte es kaum erwarten. Und jetzt überraschte er mich mit dieser tiefen Niedergeschlagenheit, am Vorabend, gerade als ich ihn Sintra ankam:

"Wie gut es tut, deine Stimme zu hören", versuchte er sich zu trösten.
"Aber erzähl mir, wie geht es da?"
"Alles Scheiße!"
Erst jetzt erfuhr ich von dem Unfall von Rubinho Barichello (er hatte den Gefährten ins Krankenhaus begleitet. Er stand noch unter Schock, obwohl er wußte, daß der brasilianische Rennfahrer außer Gefahr war.)
"Scheiße! Scheiße!" wiederholte er und schluchzte.
"Der Unfall von Rubinho?"
"Nein, nein, ein Österreicher. Ein ganz junger. Sein zweites Rennen. Er hatte einen Unfall und starb... Ich habe es gesehen: er ist vor mir gestorben... (weinen unterbrach die Erzählungen...) Und das Schlimmste ist, das sie sagen, das er im Krankenhaus gestorben ist. Er starb hier... Ich habe es gesehen..."
Plötzlich, mitten in der unbeherrschten Aufrichtigkeit, die größte Überraschung: 
"Weißt du was? Ich werde nicht fahren."
Ich brauche eine Zeitlang, um zu versehen:
"Was? Findet kein Rennen statt?"
"Kennst du sie nicht?"
Ich wußte schon verhältnismäßig genug, um zu verstehen, was er mir auf diese etwas verschlüsselte Art sagen wollte. Als er auflegte, lief ich zum Fenster. Es war eine Viertelstunde voller Schluchzen, Klagen, Zweifel und Zorn eines Mannes gewesen, der sich in seiner Karriere von nichts anderem leiten ließ als von positiven Gedanken. In Wirklichkeit war er völlig down. Ich sagte zu meiner Gastgeberin Luiza:
"Er ist ängstlich und ganz nervös. Er wird nicht fahren"
Wir waren alle voller Angst und Nervosität. Seit 12 Jahren hatte es in der Formel 1 keinen tödlichen Unfall mehr auf der Piste gegeben. In den Fernsehnachrichten ließen die Interviews das Unerwartete, die Spannung und eine mögliche Absage des Rennens erkennen. In meinem Kopf jedoch spukte der letzte Satz Ayrtons, jenes: "Kennst du sie nicht?" Die Show muß weitergehen.

Die beruhigende Anwesenheit Luizas ließ mich im Schlafzimmer, in unserem, in dem Anbau der "Casa do Ayrton" einschlafen - müde wie ich nach dem Flug Sao Paulo - Lissabon war. Mich beruhigte auch ganz entschieden, zu wissen, daß in San Marino jemand bei Ayrton war, der ihm seit zehn Jahren auf seine leichte, heitere Art (wie jemand, der sich immer nur amüsiert) die geistige und affektive Kraft eines Vaters schenkte, wie es ihn auf der Welt nicht mehr gibt. Braga war dort bei ihm, wie er immer bei ihm war. Wenn Verzweiflung und Desillusion in der Seele dieses Mannes, der ein Champion mit Haut und Haaren war und den Namen Ayrton Senna trug, überhand zu nehmen drohten, dann würde dieser Vater ihn immer bei der Hand nehmen und zu gesundem Menschenverstand und zur Realität zurückführen. Zweiter Vater, Ratgeber - die Freundschaft Bragas ging so weit, das z.B. in der Garage der Quinta von Sao Pedro de Sintra für die sporadischen Besuche Ayrtons ein Honda NSX, metallic, genauso einer wie er ihn in Sao Paulo hatte, stand ( er steht jetzt, nachdem alles passiert ist, immer noch da, still, trauernd, staubbedeckt. Dr. Braga hat die Angestellten angewiesen, daß das Auto nicht berührt werden dürfe).
Erleichtert nahm ich das Flugzeug um 20.30 Uhr in die Algarve. Juraci, die Haushälterin, holte mich ab. Herzlich wie immer. Sie wollte mich gleich mit ihrer typisch portugiesischen Dankbarkeit überschütten, als deren Folge der Zeiger einer Waage immer allzu leicht nach oben ausschlägt. Wir sprachen ausgiebig miteinander, machten Pläne für den Empfang am nächsten Tag. Erst dann zog ich mich zurück. Ich spürte seine Abwesenheit nach diesen Monaten des Getrenntseins physisch so sehr, daß ich die Schränke in unserem Zimmer öffnete, seine Schubladen, und die Wäsche streichelte, um seinen männlichen Geruch zu spüren. Ich spürte seine Anwesenheit auch an dem Tisch mit dem Fax, den aufgeräumten Papieren, an der in einer Ecke liegenden Zeitschrift - ja, jene Nova Gente, auf deren Titelbild wir waren, dieselbe Reportage wie in Caras. Ich hielt das für eine absichtliche Huldigung von ihm. Als ich gerade aus dem Bad gehen wollte, klingelte das Telephon wieder. Ich ging noch im Badezimmer dran und räkelte mich auf dem tiefen, weißen Teppich, der so weich wie ein Katzenfell war:
"Beco, geht es dir besser?"
Er weinte nicht mehr, aber seine Stimme war ganz dünn:
"Schau, mein Herz ist in meinem Fuß". Braga, Leo und Galvao (Bueno, von TV - Globo) sind hier, Gott sei dank. Wir waren beim Essen, wir haben uns unterhalten. Mir geht es besser."

Übersetzung: Er würde fahren, und würde fahren, um zu gewinnen.
"Ich bin bereit, in den Wagen zu steigen und total aufzudrehen", sagte er. 

Sein großzügiges Herz bereitete heimlich eine Überraschung vor. An Stelle der brasilianischen Fahne, die er an seinen Siegestagen schwenkte, hatte er bereits einen Freund beauftragt, daß er eine österreichische Fahne besorge. Das wäre seine Ehrerweisung an den verunglückten Ratzenberger gewesen. Ein Anfänger in der Formel 1. Für Ayrton jedoch gab es keine Hierarchien, weder im Leben noch im Tod. Er vertraute mir seine Geste an. Ich schwöre, daß ich es jetzt war, die das Schluchzen in der Kehle hatte. [Das erklärt auch die Österreichische Flagge, die später im Williams von Ayrton Senna gefunden wurde...]

Ich versuchte, das nicht zu zeigen, und sagte deshalb fast ärgerlich:
"Nun, wenn einer von der Familie stirbt, dann bleibt alles stehen? Die Menschen tragen Trauer..."

Später erfuhr ich durch Freunde und durch die Presse, daß das Rennen von Imola an einem seidenen Faden hing. Ayrton gab öffentlich Erklärungen ab, in denen die Unsicherheit des Rundkurses aufgezeigt wurde und die die Unfälle bedauerten. Aber er wäre die letzte Person auf der Welt gewesen, die einen Boykott hätte anfiihren können. Er hatte die beiden ersten Rennen verloren, war mit seinem Punkteresultat im Rückstand. Eine derartige Haltung wäre als ein Vorwand verstanden worden, Zeit zu gewinnen, um nicht in den Wettbewerb zu gehen. Und wenn es etwas auf der Welt gab, was Ayrton nicht war, dann war das schwach und feige. Am Vorabend der Tragödie wiederholte er mir gegenüber nur seine symptomatische Zwangslage:
"So ist das eben, diese Leute sind eben so", um gleich darauf das Thema zu wechseln. Die Haushälterin unterbrach, um ihn mit dem Speiseplan aufzuheitern, den sie für seine Ankunft  vorbereitete. In der Einfachheit, die typisch für ihn war: Gegrilltes Hähnchen und Gemüse aus dem Dampfkochtopf. Ich nahm den Hörer wieder. Wir sprachen von uns. Von der Sehnsucht und von Liebe. Wir tauschten leidenschaftliche Schwüre. 

"Ich muß dir ein paar Klapse geben", sagte er.
"Klapse? Warum?"
"Ich habe dir viel zu sagen. Dir vorzuschlagen. Dir anzubieten", fuhr er fort. 
"Ich komme um 20.30 Uhr dort an. Ich will die Nacht über kein Auge zu tun. Wir werden miteinander sprechen bis es Tag wird. Ich will dich davon überzeugen, daß ich zuallererst der beste Mann in deinem Leben bin."
Ich lachte über diesen unerwarteten Kommentar.
"Du kennst die anderen nicht...", scherzte ich.
"Ich werde dir beweisen, daß ich der beste bin."

Mein Gott, er ist der beste Mann in meinem Leben. Der einzige. Könnte es sein, daß ich ihm das noch nicht klargemacht hatte. Er war ein Gabe, ein Geschenk - ein Paradies. Während unserer nächtlichen und fast albernen Unterhaltung zweier Verliebter, dachte ich nicht im Traum daran, daß es Raum für Intrige oder Gift geben könnte. Von unserer Seite aus gab es keinen. Leidenschaft war unsere einzige Nahrung. "Ich habe Neuigkeiten für dich", verkündete ich, als ich mich verabschiedete. Ich wollte ihm das selbst erzählen. Einfach so, eine Dummheit, die aber für mich Schweiß und Fortschritt bedeutete. Ich würde ihn zu einem Lauf herausfordern, sobald er sich von den Anstrengungen von Imola erholt hätte.


FERRARI
und wie sich Ayrton Senna sein Karriere Ende vorgestellt hatte...
 

"Ich habe ein Auge auf dich, garotinha. Ich habe Sehnsucht nach dir."
Das wiederholte er noch voller Zärtlichkeit. Der Abschied, dazu die Liebesseufzer an dem langen Nachmittag, den wir an dem Tag seines Abflugs nach Japan hatten, caliente, aus der mexikanischen Telenovela, unser Kuß noch dort im Auto, alles das drehte sich in meiner Erinnerung wie eine rätselhafte Botschaft, die ich nur dechiffrieren mußte - eine Denkaufgabe, deren Einzelteile, nebeneinandergelegt, mir meine zukünftige Beziehung zu ihm aufzeigten. Das war sein Stil, sein Verhältnis zum Leben und zu den Menschen darzustellen. Von Natur aus diskret, sagte er nur das Nötigste. Jedoch handelte er in einem grundsätzlichen Sinne fest in allem, was seinem Interesse diente. Einmal, aus dem gemeinsamen schläfrigen Sonnenbad von Angra heraus, nach einem langen Nachmittag voll reinster Freude verriet er sich mir überraschend: "Eines Tages heirate ich dich (und ich sah mich sofort, Gott weiß warum, mit Schleier und Blumenkranz in jener Kapelle von Jipoia ganz in der Nähe, der gleichen, die er in unserer ersten Liebesnacht gemeint hatte). Und eines Tages werde ich im Ferrari Rennen fahren."

Ich fühlte mich echt geehrt, in so illustrer Gesellschaft zu sein. Er hatte gerade dieser Tage den Vertrag mit Williams unterschrieben. Er plante, zwei Saisons im Stall seines geliebten Frank zu bleiben, die Jahre 1994 und 1995. Es war das beste Auto in den Händen des besten Rennfahrers. Ich erinnere mich noch, als sei es heute, daß ich das in einem unverdächtigen englischen Blatt gelesen habe, der Sunday Times. Das war es, was alle Welt sagte: Senna - Williams -ein unbesiegbares Paar. Es ist nur mein Eindruck, aber ich glaube, daß er mit Williams den Erfolg seines Idols Juan Manuel Fangio wiederholen wollte  - der Argentinier gewann fünfmal die Weltmeisterschaft, in jenen Pioniertagen des Automobilsports, wo das fahrerische Talent mehr zählte, als die Motorleistung. Ihn wiederholen, aber niemals übertreffen. Ayrton sagte, daß Fangio unübertrefflich sei. Noch zwei Saisons im Williams, und der sture Ayrton hätte sich zufrieden gegeben, weil drei und zwei fünf ergibt. Daher kam diese Geschichte mit Ferrari unerwartet. "Da höre ich meine Karriere auf",  garantierte er mir.

Noch zwei Jahre, so rechnete er, dann hätte der Stall mit den wilden Pferden ein wettbewerbsfähigeres Gefährt (wo immer er da auch gewesen sein mag, er muß mit dem ersten Sieg Ferraris in diesem Jahr 1994 beim GP von Deutschland mitgefiebert haben, noch dazu, weil er dann wußte, daß sein großer Freund Gerhard Berger der Sieger war). Aber der Ergebnisfanatiker wollte nicht das Maranello - Rot, um seine technische Leistung herauszustellen. "Selbst wenn der Ferrari nur so langsam wie ein Käfer fährt, bei meinem letzten Start, bei meiner letzten Runde, bei der letzten Fahne möchte ich da drin sein", träumte er. 
"Der Ferrari ist das Mystische der Formel 1. Die Marke, die Geschichte, die Tradition, die Seele, die Leidenschaft. Davon abgesehen, bewunderte er auch die italienischen Fans. Und vice - versa.

Das ist der Ayrton, den ich kenne: ein Mann, der fähig ist, auch noch aus seinem Ruhestand etwas Nettes zu machen. Er fing schon an, an die Zukunft zu denken - die Zukunft beinhaltete keine Safes in der Schweiz, vollgestopft mit Geld, sondern vielmehr das Vergnügen bescheidener, sinnvoller Einstellungen. Das sind Beispiele, die aus ihm eine außergewöhnliche Gestalt machten - und ganz besonders die Menschen, die mit ihm verkehrten, müssen ihn für immer respektieren.


.: Erster Mai 1994 - Der gelbe Helm hat für immer aufgehört zu leuchten :.